Belize - immergrüner Regenwald und türkisblaues Meer


Die Einreise nach Belize war unkompliziert. Ein paar Formulare mussten ausgefüllt werden, ich versicherte schriftlich, dass ich keine undeklarierten Wertsachen, Waffen oder große Mengen an Alkohol einschmuggeln würde und schon fand ich mich im karibischen Inselparadies von Ambergris Caye wieder. Besucher kamen via Water Taxi (Speedboat) als Fußgänger auf die Insel. Autos fuhren dort fast keine. Die Straßen waren trotzdem gut gefüllt - mit Golf Karts zum Mieten. Ich hatte Glück, es gab auch einen (einzigen) Fahrradverleihservice in San Pedro, der Inselhauptstadt. Da hauptsächlich US-Amerikanische Touristen auf der Isla Bonita (Madonna, 1986) Urlaub machen und die motorisierten Golf Karts gerne nutzten, war ich mit meinem Leih-Beach-Cruiser weit und breit die einzige radelnde Touristin und erntete einige verwunderte Blicke von den US-Amerikanern, aber die Blicke waren mir egal, ich wollte von San Pedro aus zum 13 Kilometer entfernten Secret Beach. (Der nicht mehr wirklich secret war, wie jeder gleich anmerkte.) Dort angekommen reihte sich eine Strandbar an die nächste. Die Bartische standen mitten im kristallklaren und türkisfarbenen Wasser. Man konnte hier sitzen und einen Pina Colada schlürfen oder Ceviche (Fischsalat) mit Tacos essen. Doch vorher kamen nun endlich meine Taucherbrille und mein Schnorchel zum Einsatz. Für eine Backpacking-Ausrüstung eigentlich zu schwer, hatte ich die Sachen trotzdem als persönliches Extra eingepackt und bis dahin mit mir herumgeschleppt. Die Anstrengung hatte sich aber gelohnt. Die Unterwasserwelt bot reichlich Anlass zum Staunen: farbenfrohe Fische, eindrucksvolle Stachelrochen und kunstvoll geschwungene Muscheln. 

Belize gehört zum Mesoamerikanischen Biodiversitäts-Hotspot und hat mit dem Blue Hole vor seiner Küste das zweitgrößte Barrier Riff nach dem australischen Great Barrier Reef. 

Ein absolutes Taucherparadies! 


An den Küsten, in den Lagunen und den feuchten Mangrovenlandschaften Belizes leben sogar Krokodile, hatte ich gelesen. Um mir eins aus der Nähe anzugucken, setzte ich mich an einen Steg der San Pedro Lagune und verhielt mich ganz ruhig. Die Ruhe war nur von kurzer Dauer, denn bald schon kam ein Boot mit lauter Party-Musik und wild feiernden und rufenden Menschen näher und legte doch tatsächlich an meinem Beobachterposten an. Nagut, dachte ich, hier wird sicher kein Krokodil mehr auftauchen, und zog weiter. Am nächsten Anleger traf ich George, einen jungen belizianischen Fischer, der die Restaurants der Insel mit selbstgefangenem Fisch versorgte. Seine Angelmethode hat mich stark beeindruckt. Mit Harpune und Taucherbrille ging er auf Fischfang. Sobald er einen Fisch vom Boot aus getroffen hatte, sprang er hinterher und tauchte nach ihm (freediving). Welche Fische er erlegte, fragte ich ihn. Von Hummer, Conch, Grouper Tarpunen über Schnapper bis zu Langusten war alles vertreten.


Nicht nur die Küste, sondern auch das Festland Belizes hat für Naturliebhaber viel zu bieten und ist wunderschön wild! 

In einer durchgehenden Zickzack-Linie zieht sich der Highway als Hauptverkehrsader von Norden nach Süden durch das Land, vereinzelt ein paar Ortschaften. Der Rest des Inlands besteht aus großflächigem Tieflandregenwald. Vom Highway aus sah ich auf ein Meer aus Pflanzen - nicht ein Baum und nach 10 Metern der nächste Baum wie an deutschen Straßenrändern oft vertreten, sondern in Belize wuchs alles nebeneinander, übereinander, untereinander, verschlungen ineinander.


Einen Abstecher in die herrlichen Regenwälder unternahm ich zum Guacanaste-Nationalpark, dem kleinsten Nationalpark Belizes. 

Die Artenvielfalt in diesem Park war erstaunlich: schwarze Mangroven, Zedern, Pinien, Mahagoniebaum, Mexikanische Weymouth-Kiefer, Virola-Baum und 700 Baumarten mehr. Darin leben unter anderen Brüllaffen, Agutis, Gürteltiere, Jaguare, Jaguarundis, Weißwedelhirsche und Blattschneiderameisen. Ein tolles Erlebnis, durch diesen Urwald zu spazieren! Hinter jedem Busch raschelte es, alles war in Bewegung. Oft hörte ich nur die Geräusche, ohne ein Tier zu sehen. 


Im Chickenbus ging es weiter in Richtung Süden. Belize setzt ausrangierte Schulbusse aus den USA für den öffentlichen Nahverkehr ein, die sogenannten Chickenbusse. Sie werden von den Einheimischen gut frequentiert und waren fast immer randvoll mit Passagieren. Manchmal wurden tatsächlich auch Kleintiere transportiert. 

Der Ticketpreis war im Verhältnis zum allgemein relativ hohen belizianischen Preisniveau niedrig. Wer also ein kleines Budget für seine Reise durch Belize kalkuliert, sollte Bus fahren. Bushaltestellen im klassischen Sinne gab es nur am Start und Endpunkt - also in einer der Orte, dazwischen konnte man theoretisch überall zusteigen oder auch wieder aussteigen, außer der Bus war voll oder der Fahrer hatte keine Lust, einen mitzunehmen. Wollte man zusteigen, winkt man dem Bus vom Straßenrand aus ran. Wollte man wieder aussteigen, musste man laut "Bus Stop" rufen. Meistens funktionierte das. 

Ein weiterer Vorteil der Fahrt mit dem Bus war die Möglichkeit, Kontakt zu Einheimischen aufzunehmen, aber das war in Belize ja ohnehin nie ein Problem. 


Meine erste Busfahrt in Belize führte mich von Belize City nach Belmopan. Belmopan ist zwar kleiner, hat weniger Einwohner als Belize City, ist aber trotzdem die Hauptstadt des Landes. Der Grund: Belize City liegt direkt an der Küste. Immer wieder kommt es vor, dass ein Hurrican die Stadt verwüstet. Im Jahre 1931 starben über 2500 Menschen bei einer solchen Naturkatastrophe. Belmopan, das tiefer im Landesinneren liegt und höher über dem Meeresspiegel, bietet der Bevölkerung mehr Schutz und Sicherheit. 

Hier, in Belmopan, wollte ich ein bisschen Zeit verbringen, mich umgucken und Land und Leute besser kennenlernen. Online fand ich eine charmante, nicht zu teure Unterkunft, mit dem exotischen Namen Tropical Guest House Hacienda. Ihr Gastgeber hieß Brian, er übernachtete draußen in einem Bus ohne Räder, im Garten der Hacienda, die seiner Tante Marta gehörte, und kümmerte sich um alle möglichen Angelegenheiten vor Ort. Nach einer kurzen Einweisung in meine Luxussuite, führte mich Brian zu einem Lokal in der Nachbarschaft. Hier wurden allem Anschein nach selten Touristen bewirtet. Die Gerichte waren super günstig und sehr lecker. Es gab Soursop, Tacos, Panadas und Tamales (Erklärung siehe unten). 

Bei Toastados und Soursop erfuhr ich interessante Dinge über Brian und seine Landsleute. Im englischsprachigen Belize leben Mestizen, Creolen, Garifuna-People, Mennoniten, Nachfahren indianischer Abstammung und andere exotische Randgruppen größtenteils friedlich zusammen. Lächelnd erklärte mir Brian, er sei "a good mixture of everything" mit spanischen, indianischen und sogar walisischen Vorfahren. Warum er denn am Knie eine riesige Narbe hätte, fragte ich ihn. Eine Verwechslung sei das gewesen, antwortet er. Als er feiernd mit Freunden im Garten saß, wurde aus heiterem Himmel und aus nächster Nähe auf ihn geschossen.

Kurze Zeit später setzte sich ein Pärchen an unseren Nachbartisch. Sie wirkten wie aus der Zeit gefallen, altmodisch und als hätten sie sich verkleidet. Die Frau trug eine Haube und ein langes Kleid, der Mann einen Strohhut und Hosenträger. Als die beiden sich zu unterhalten anfingen, wurde ich hellhörig. Irgendwie klang ihre Sprache vertraut. Beide gehörten sie zur Gruppe der Mennoniten, die Plautdietsch sprechen, eine Art archaisches Niederdeutsch mit holländischen Einflüssen. Hörte sich hart und komisch an, verstehen konnte ich so gut wie nichts. Die Mennoniten in Belize sind das Pendant zu den Amishen in den USA mit dem kleinen Unterschied, dass die Mennoniten nicht ganz so isoliert vom Rest der Bevölkerung leben und auch motorisierte Verkehrsmittel benutzen können. Sie arbeiten in der Landwirtschaft oder im Handwerk und sind in Belize stark vertreten. 


Der nächste Bus warf mich mitten auf dem Highway raus. Die restlichen fünf Kilometer legte ich ich zu Fuß zurück. Ich wollte nach Hopkins, einem kleinen Fischerort an der Belizianischen Küste und ein Hotspot der Garifuna-Kultur. 

Die Garifuna bilden eine eigenständige Volksgruppe mit über 100.000 Angehörigen in Zentralamerika und den USA. Die Gruppe ging aus der Vereinigung ehemaliger Sklaven aus Westafrika und indigenen Kariben hervor. (Wikipedia)

Sie besitzen eine eigene Sprache, eigene Tänze sowie Musik. Das Trommeln haben sie zur hohen Kunst erhoben, ihren energetisierenden Klängen durfte ich jeden Abend in Hopkins lauschen. 


Über Airbnb hatte ich einen Zeltplatz am Strand der Bucht von Hopkins gebucht. Der Zeltplatz entpuppte sich als eine Art Kunstgalerie mit mehreren Cabanas (Hütten) darin. Die Besitzerin hatte überall kleine selbstentworfene Kunstwerke platziert, sogar die Outdoor-Duschkabine schmückten Aquarell-Zeichnungen von bunten Unterwasserwelten. Zelten durfte ich unter dem Haupthaus, zu dem ein Restaurant gehörte. Die Häuser am Strand standen meistens auf Stelzen und so hatte ich mein eigenes kleines Reich im "Erdgeschoss". Es gab viele Hühner, die umhergackerten, kuschelbedurftige Hunde und Katzen. 

Mein Zelt war schnell aufgebaut, also ging ich an den Strand, von wo aus mir die Reagge und Dancehall-Vibes schon entgegen schallten. 

Überall wurde ich nett begrüßt mit 'Hi Miss',  'Good Evening Madam', 'Hello Mama'. "Hi Babygirl, I wanna talk ta yu!" Rief Joyceline mir zu. Sie fragte, ob ich einen 'husband' hätte und erzählte, dass sie mit ihrem Mann, in San Pedro lebte und in Hopkins gerade allein Urlaub machte. Ihr Mann soll 98 Jahre alt sein und als Ingenierur im Ruhestand das Leben auf der Paradies-Insel Ambergris Caye, auf der ich kurz zuvor auch war, genießen.


Meine nächste Begegnung hieß Elvis. "Elvis wie Elvis Presley", erklärte er zum besseren Verständnis. Elvis lebte auf einem Boot am Strand und verdiente sich seinen Lebensunterhalt mit Gelegenheitsjobs und dem Fischfang. "Wenn du möchtest, zeige ich dir meine Fischereikünste", bot er mir an. Klar, nahm ich dieses Angebot an. Also gingen wir an eine geeignete Stelle am Strand, wo besonders viele Pelikane ins Wasser starrten. (Anzeiger für Fischvorkommen). Elvis warf sein Netz ein paar Mal aus und tatsächlich zappelte nach einigen Würfen ein kleiner Schnapper-Fisch darin. 

Nachdem Elvis den Fisch ausgenommen und zubereitet hatte, ließen wir ihn uns  zusammen mit Reis und Bohnen schmecken. 


Doch es gab auch Schatten im Paradies. Elvis erzählte mir über die großen Touristik-Resorts, die überall am Strand aus dem Boden schossen. Die ausländischen Investoren kauften immer mehr Land in Hopkins auf und verdrängten so die einheimischen Garifuna-Leute. In den Resorts werden dann lieber Mayas und andere Nachfahren indigener Völker angestellt, die für einen billigeren Lohn bereit sind, zu arbeiten. Viele Garifuna-Leute waren hier arbeitslos und mussten Touristen um Geld anbetteln, um sich Lebensmittel zu kaufen, die für die vergleichsweise reichen Touristen zu Dollarpreisen verkauft werden. 


Erklärung zu Speisen


Tacos: Der Begriff Taco stammt aus dem mexikanischen Spanisch und bedeutet Pfropfen oder Knäuel. Möglicherweise geht der Ausdruck auf mexikanische Bergleute des 18. Jahrhunderts zurück, die das in Papier eingewickelte Schießpulver zum Sprengen von silberhaltigem Gestein als Taco bezeichneten.

Heute ein zentralamerikanisches Fastfood-Gericht, das aus einer Tortilla aus Weizen oder Mais besteht und mit allen möglichen Zutaten gefüllt werden kann und meistens mit scharfer Salsa gewürzt wird


Soursop: Erfrischungsgetränk aus Stachelannone (tropische Frucht), wird auch als Sauersack bezeichnet


Tamales: ein traditionelles zentralamerikanisches Gericht der Mayas und Azteken, das aus Maisteig besteht, der mit Fleisch, Käse oder anderen Zutaten gefüllt ist und in Pflanzenblätter eingehüllt gedämpft wird


Hopkins, 17. Dezember 2023



Alles möglich in Mexiko

"Todo es posible en México", rief Lázaro und lachte. Der Mexikaner betreibt zusammen mit seiner Frau Adela in Escárcega, im Bundesstaat Campeche, eine kleine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Eco-Lodge. Endlich kam hier, mitten im Regenwald, mein Zelt zum Einsatz. Denn neben rustikalen Hütten (span.: Cabañas) bieten die beiden dem Low-Budget-Reisenden auch einen Zeltplatz.  Eine absolute Rarität. Der Trip im Zelt wird von Mexikanern allgemein als unbequem empfunden und gilt sogar als unsicher, denn idyllische Seen und andere schöne Wasserlandschaften sind auch für Krokodile ausgezeichnete Erholungsgebiete. 

Den ganzen Monat suchte ich nach einer passenden Einsatzmöglichkeit für mein Zelt und war umso begeisterter, als ich ihn endlich am 24. November auf der Eco-Lodge von Lázaro und Adela fand. Einige Gäste waren bereits eingetrudelt: ein paar Tucane, drei Schweine, kleine Wildschweinchen, (außergewöhnlich prächtige) Hühner,  zwei Hunde UND lauter Brüllaffen! Brüllaffen halten sich - ähnlich wie Faultiere - ihr ganzes Leben lang in den Bäumen auf. Sie steigen nicht mal ab, um ihr Geschäft zu verrichten.  Brüllaffen heißen nicht zum Spaß so, ihr "Gesang" ist bis zu 5km weit hörbar. Nach dem Trompeten von Elefanten erreichen die Tiere die zweithöchste Lautstärke gemessen in Dezibel, erklärte mir später ein Ranger. Für meine Ohren klang der Sound nach einem Mix aus Schäferhund mit Scharlach und röhrendem Hirsch. 

Ein Hauch von Mojito lag in der Luft, mein Zelt stand inmitten von Limettenbäumen. Wie praktisch, funktionieren Zitrusfrüchte nämlich als natürliches Mittel gegen Mücken. 

Üblicherweise fahren Reisende (auf ihrem Weg nach Cancún oder Mérida) an dem kleinen Idyll von Escárcega vorbei. Es gab hier keine großartigen Touristenattraktionen, die zum 1000. Mal abgelichtet werden konnten, dafür aber viele kleinere Entdeckungen zu bestaunen.

Ich  wäre gerne länger geblieben.


Mein minimalistischer Lebensstil auf der Reise durch Mittelamerika zwingt mich quasi zur Beschäftigung mit der Umgebung, der Natur, den Menschen und ihrer Kultur. Meine Ausrüstung, die nur aus ein paar ausgewählten Sachen mit wenig Gewicht besteht, ist leicht in Schuss zu halten und verplempert weder Zeit noch intellektuelle Ressourcen. 


Heiß und vorallem feucht war das Klima im mexikanischen Bundesstaat Chiapas. Ich musste mich nun nicht mehr bewegen, um zu schwitzen in dieser Rund-um-die-Uhr-Sauna ohne Eintrittspreise. 

Chiapas gilt als ärmster und unterentwickeltster Bundesstaat Mexikos. 

Hier leben besonders viele Nachfahren der Mayas und anderer präkolumbianischer Kulturen wie z.B. Azteken oder Olmeken: Von 5,5 Millionen Einwohnern ist 1 Million indigener Abstammung (Wikipedia). Ein Großteil der indigenen Bevölkerung ist unterernährt und lebt in Armut - trotz natürlichem Reichtum an Rohstoffen und landwirtschaftlichen Produkten. Die Notlage der in Chiapas angesiedelten Indígenas führte im Jahr 1994 zum sogenannten Chiapas-Konflikt, der bis heute andauert. Grob vereinfacht gesagt kämpfen im Chiapas-Konflikt linksradikale Zapatisten gegen die mexikanische Regierung. Sie fordern den Stopp von Diskriminierung und mehr Rechte für die indigene Bevölkerung. 

Erhöhte Militärpräsenz war auf den Straßen Chiapas deutlich wahrnembar: Alle paar Minuten rauscht ein LKW mit schwer bewaffneten Soldaten vorbei. 


Auf meinem Gringo Trail zum Weltkulturerbe Ruinenstadt Palenque schlängelte sich ein Reisebus nach dem nächsten an mir vorbei. Die historischen Mayastätten liegen fast alle mitten im Dschungel und es gibt nur eine einzige Straße, die dorthin führt. Hier herrschte tagsüber Hochbetrieb: Guides, die Führungen durch den Dschungel anboten, (Eintritts-)Kontrollen, Streetfood-Stände, Souvenirhändler. Viele Gelegenheiten, sein Geld loszuwerden. Als ich die archäologische Zone erreichte, kehrte Ruhe ein. Mächtige steinerne Tempel und verfallene Gemäuer standen einfach in der Landschaft herum. Die Ruinen ließen nur erahnen, wie prunkvoll sie einst gewesen sein mussten. Hinterlassenschaften eines kultivierten Volkes. 

Die Sonne brannte, die Luft war feucht und ich kletterte die steilen Stufen hinauf in Richtung Spitze des Blätterkreuztempels. Welche Gründe gab es wohl für den Niedergang der Maya und die Aufgabe dieser großartigen Tempelpaläste, fragte ich mich, während ich so stieg. Waren es vielleicht am Ende die überproportionierten Stufen, die für die zierlichen Mayas ziemlich beschwerlich sein mussten? 


Seitdem ich nur noch die kleineren Orte Mexikos ansteuerte und Touristik-Hotspots ausließ, lief meine Reise deutlich entspannter ab. In Mexiko (ähnlich wie in den USA) war alles ein bis zwei Nummern größer als in Europa. 

Die Straßen fest in der Hand von Monster-Trucks, Fahrräder sah ich dort selten, Tourenradler keinen einzigen. Die XXL-Trucks, die weiten Entfernungen und die fehlenden Radwege und bestätigten meine Annahme, dass Rucksackreisen in Mexiko die deutlich stressfreiere Reisevariante sein musste und mein Fahrrad im heimischen  Keller wohl am besten aufgehoben war. 


Todo es posible en México - alles außer Radwandern. 



Xpujil, 27. November 2023


ANKOMMEN AUF REISEN


"Kommen Sie gut nach Hause." 

Mit diesen Worten wurde ich von einer französischen Rezeptionistin auf meine bis dato am weitesten entfernte Reise geschickt. 

Nach kurzer Zwischenlandung inklusive Übernachtung in Paris fand ich mich nach 12 Flugstunden und 7 Zeitzonen später in einer anderen Welt wieder: Aeropuerto Internacional de la Ciudad de México. 


Die Geräuschkulisse war überwältigend. Alles und jeder wollte sich mitteilen. Es wurde gehupt, gepfiffen, gerufen, gesungen, gelacht und geweint. 


Maria de los Angeles hieß meine erste Gastgeberin. Sie gab mir online den Tipp, ein Taxi-Ticket am Flughafenschalter zu lösen. Auf diese Weise steht der Preis vorher schon fest und man muss keine Sorge haben, vom Taxifahrer über's Ohr gehauen zu werden. Gesagt, getan, so saß ich Sekunden später schon im Taxi. Wir, der Taxifahrer und ich, fuhren wortlos durch die mexikanische Nacht. Erstens war mein Spanisch viel zu schlecht für Konversation, zweitens war ich platt von 12 Stunden in 10.000 Metern Höhe sitzend. 


Als das Taxi sein Ziel erreichte, hörte ich, wie jemand meinen Namen rief. Es war meine aufmerksame Gastgeberin, die aus dem Fenster sah und wohl schon auf mich gewartet haben musste. Die Unterkunft gefiel mir auf Anhieb. Sehr stilvoll, hübsch und ausgewählte mexikanische Kunst an den Wänden. Wir klärten nur das Nötigste, danach fiel ich in tiefen Schlaf. 


Am Morgen des 4. November zog ich in T-Shirt und mit Sonnenbrille los. Versuch der Orientierung in einer fremden Stadt, fremdes Land und fremden Kontinent. 

Viele Fragen im Gepäck - an das Land, die Menschen aber auch an mich selbst. Besonders diese: Was mache ich hier eigentlich? Warum jetzt so viele Zweifel? 


Nicht weit von meiner Unterkunft entfernt lag ein Park, Parque Bosque de Chapultepec, der würde sich gut eignen, um sich zu sammeln und frischen Elan zu schöpfen.


Gerade fanden dort im besagten Park die Feierlichkeiten zum Tag der Toten, dem Dia de los Muertos, statt, einem der wichtigsten mexikanischen Feiertage. Wie der Name schon verrät, wird an die Verstorbenen gedacht. Keine Trauerveranstaltung, sondern ein farbenprächtiges Volksfest zu Ehren der Toten. Nach dem Volksglauben kehren die Seelen der Verstorbenen an diesen Tagen zu den Familien zurück, um sie zu besuchen. (Wikipedia). Buntes Treiben auf den Straßen, Kostüme, Schminke, Symbole aus dem Totenreich. Das Leben gibt dem Tod feierlich die Hand. Überall gelbe und orange Blüten. Man glaubt nämlich, dass die Toten diese Blumen am besten erkennen und sich an ihnen orientieren können auf ihrem Weg zu Besuch bei den Lebenden. 


Als ich vom Spektakel zum Dia de los Muertos genug gesehen hatte, wurde ich hungrig. Jetzt sollte ich meine erste Lektion lernen: 

Das Bistro im Parque Bosque de Chapultepec konnte sich vor Besuchern kaum retten, kein Wunder, beschäftigte es doch zwei temperamentvolle junge Männer, die die Leute auf gekonnte Art und Weise von der Straße ins Bistro beorderten. Jeder einzelne, der vorbei ging, wurde von ihnen angesprochen oder rangepfiffen oder bekam gleich auf der Straße die Speisekarte gereicht. Weil ich wie gesagt ziemlich hungrig war, nahm ich das Angebot dankend an und  bestellte Tacos mit etwas, das exotisch und lecker klang. Wollen wir uns mal überraschen lassen, dachte ich. Schnell war die Speisekarte mit den Preisen vom Tisch wieder verschwunden. Was dann aufgetischt wurde, war ein riesiger Fleischbrei auf Teig. Die Piña (dt. Ananas) suchte ich darin vergeblich. Nagut... la cuenta por favor! Als der Kellner mir auf einem Notizzettelchen dann die Rechnung präsentierte, fühlte ich mich endgültig an der Nase herumgeführt: mehr als doppelt soviel als der Preis, der in der Karte stand, die ja nun verschwunden war. Diskussion zwecklos, mein Spanisch gab das nicht her. Um mich aus der peinlichen Situation zu befreien, zahlte ich eben einen Märchenpreis. 


In der Nacht zum 5. November wurde ich krank, Erkältung, vielleicht sogar Corona oder Nachwehen vom Flug. An Schlaf war nicht zu denken. Viele Ungewissheiten, drängende Fragen, plötzlich rätselte ich sogar, warum ich diese Reise überhaupt angetreten hatte. Wieder war es Maria de los Angeles, die meine Stimmung rettet. Und zwar mit Kamillen-Minze-Tee UND einem Fahrradhelm ihres Sohnes, denn: Heute, beschloss ich unternehmungslustig, erkunde ich die mexikanische Hauptstadt mit dem Rad. 

MXC verfügt über ein flächendeckendes Leihradsystem, das eigentlich ziemlich einfach über eine App funktioniert. Allerdings lagen auch hier wieder einige Tücken am Wegesrand: Zum Beispiel sollte der Radler unbedingt sicherstellen, dass sein mobiles Internet intakt ist, andernfalls drohen nach 45 Minuten ohne Ortung gleich höhere Geldstrafen, die von der Kreditkarte gnadenlos abgebucht werden können. Von diesen Kinkerletzchen abgesehen war die Radtour wohl das schönste Erlebnis, das ich mit MXC verbinde. Zumal an diesem Sonntag die Hauptverkehrsadern zufälligerweise ausschließlich den Radlern vorbehalten blieben. Keine Autos weit und breit, die Ampeln ausgeschaltet. Die Kreuzungen wurden geregelt durch ehrenamtliche Verkehrshelfer. Freie Fahrt voraus. Bis heute habe ich keine genaue Erklärung, ob das eine einmalige Aktion war oder, ob das jeden Sonntag so stattfindet. Jedenfalls reihte ich mich ein in den Strom der Radler, Inliner und Skateboarder und rollte gelassen dem urbanen Zentrum entgegen. Eine richtige Sonntagsfahrt. Keiner hatte es eilig. Im urbanen Viertel angekommen, wehte ein anderer Wind. Die Straßen waren voll, laut und dicht - auch Autos fuhren hier wieder. Das pure Chaos. Jedenfalls auf den ersten Blick. Touristen,  Fußgänger, Autos, Motorräder, Straßenhändler(-wagen). Alles ist und alle sind pausenlos in Bewegung. Und auf wundersame Weise funktionierte das. Auf der Straße wurde gekocht und gebraten, verkauft und Waren angepriesen. 

Ein Mexikaner fragte mich, ob er sich mein Rad  kurz ausleihen dürfte, er wolle damit nur  eine Runde um den Block fahren...

Ein paar Stunden später radelte ich atemlos und mit Eindrücken im Gepäck aus dem Getümmel und holte mir im Mercado eine Portion frische Früchte. 


Auch im zweiten AirBnb hieß die Gastgeberin zufälligerweise wieder Maria, doch das Zimmer gefiel mir nicht, es war so winzig, dass ich das Fenster geöffnet haben musste und es lag unmittelbar an der Straße Baja California, einer riesigen Hauptstraße, wo pausenlos die Autos durchrauschten und Sirenen aufheulten. Schnell wurde mir klar, dass ich es hier nicht lange würde aushalten können und so verließ ich das AirBnb einfach in einer Art Nacht-und-Nebel-Aktion. 

 

Vielleicht verstand ich diese Stadt nicht, aber ich wurde einfach nicht warm mit MXC, nichts, das mich wirklich berührte oder mein Interesse geweckt hätte. Zuviel Müll, Schmutz, Chaos und Lautstärke. Wie soll man das genießen, sich daran erfreuen? 

In Mexico-City würde ich niemals ankommen, soviel stand fest. 


Auf nach Puebla. 


Veracruz, 12. November 2023 


Aus Liebe zur Natur